
Puh! Ich weiß nicht. Wie geht es Euch mit dieser überdigitalisierten Welt. Ganz schon zugepixelt werden wir da, oder? Gerade auch in dem Moment. Jetzt! Ich tippe in diesen leuchtenden Kasten. Und Euch geht es nicht anders. Ihr lest diese Zeilen am Bildschirm. Ja, ja – unsere digitale Welt. Und manche wollen noch mehr. Am besten auch für Kinder. Ich persönlich bin hier (immer noch) kritisch. Verstehen Sie mich richtig, Technik ist gut, Fortschritt auch. Digitalisierung ist das Rad das 21. Jahrhunderts. Kinder müssen damit umgehen, Vorteile nutzen… ach, jeder soll eine Marsrakete bauen können, so eben!
Berti und Bobi!
Aber was nicht verloren gehen darf, neben den Marsraketen, Robotern und selbstredenden Musikboxen, ist das dreckige Buben-Knie. Ja, das schlammige Knie. In meiner Kindheit war noch Blut dabei. Die aufgerissene Kinderjeans und die mit Erde aufgefüllten Bereiche zwischen längerem Nagel und Fingerkuppe bei den Madeln. All das muss bleiben. Denn neben Handy, Laptop, Smartwatch und KI sind und bleiben wir Menschen Menschen. Und Menschen wollen auch mal Natur spüren. Kinder müssen werkeln, bauen, basteln, riechen, fühlen und sich anschleimen lassen, wenn sie Nackschnecken-Wettrennen veranstalten und die braunen Zipfel danach vor Mama und Papa am Abend am Brotzeittisch neben dem Hüttenkäse aus der Hosentasche ziehen und sagen: Das sind übrigens Berti und Bobi!
Im Januar war ich in einer kleinen bayerischen Gemeinde unterwegs, leichter Schnee, sein eigener Atem dampfte aus der Maske, wenn man Sie nach dem Einkauf im Freien abnahm. Ein junger Bub schlenderte an mir vorbei. Sein rechter Haxn war voller Schlamm, darunter eine blaue Jeans (vermute ich). Er grinste. Ein Zahn oben fehlte. Ich grinste zurück. Seine Gummistiefel rieben den Bürgersteig ab und ich dachte an Zeilen, die ich vor knapp drei Jahren, 2018, mal für eine große Bayerische Tageszeitung geschrieben hatte. Der Titel der Kolumne lautete: „Dreckwühler statt Handywischer!“
Dreck ist gut!
Ich habe mich schon damals mit Dreck unter den Nägeln von Kindern beschäftigt und festgestellt: Das deutet auf Kreativität hin! Yes! Wörtlich hieß es damals im Münchner Merkur: „Als ich Kind war, habe ich Lager gebaut. Kennen Sie das? Für die, die es nicht kennen: Gemeinsam mit Freunden kundschaftete ich Verstecke aus und baute Hütten aus Ästen und Moos im Wald. Die Jeans durfte danach keinesfalls mehr blau sein. Und die Fingernägel mussten dick mit brauner Erde beklebt sein. Dann gab’s Brotzeit.“
Leider musste ich feststellen, dass das Lagerbauen immer weniger wird!
„Heute stirbt das Lagerbauen aus. Viele Kinder, mit denen ich spreche, sagen, eines ihrer Lieblingshobbys sei: „Smartphone“ oder „Tablet“ (ohne Artikel, auch die Sprache ändert sich leider). Lieber in der digitalen Welt wischen als im Wald im Dreck wühlen also. Klar, die digitale Welt begeistert. Ihr wohnt ein Zauber inne, um es frei nach Hermann Hesse zu formulieren. Aber sie kann täuschen. Dann, wenn das Lagerbauen stirbt.
Hirschmalz und Hände
Was nämlich verloren geht, ist ein hohes Maß an kreativer psychischer und physischer Entwicklung der Kinder. Ich habe mit Grundschullehrerinnen gesprochen. Sie sagen, das Erleben von Gegenständen mit Körper und Hirn sei elementar wichtig für ein Kind. Das findet in Schulfächern statt, die gerne belächelt und als unwichtig abgetan werden: Werken, Handarbeit, Gestalten. Doch wer sich mit Psychologen unterhält, bekommt genau das bestätigt. Das haptische Erleben trage in keinen anderen Fächern derartige Früchte. Kinder, die komplexe Holzteile mit ihren Händen feilen, leimen, spüren und riechen, entwickeln wichtige Hirnareale weiter. Digital nicht simulierbar! Werkunterricht bereitet Kinder auf selbstständige Arbeiten im Leben vor, im Haushalt, im Garten, am Arbeitsplatz. Projekte im Kopf entwickeln, anpacken, praktisch umsetzen.“
Und bis heute denke ich so. Dreck unter Nägeln muss nicht negativ sein. Und ein umgegrabener Garten, ein durchforsteter Park bringen Kindern oft mehr (neben digitale Rechenaufgaben).
Die Kolumne 2018 endet übrigens damit: „Vor einigen Tagen fragten mich zwei Burschen, vielleicht Fünftklässler, am Bahnhof nach meinem Handy. Sie hätten die Bahn verpasst, wollten die Eltern anrufen. Einer der Burschen tippte mit seinen verdreckten Fingern und brauner Erde unter den Nägeln auf meinem Smartphone. Ich grinste. Doch noch ein Lagerbauer, dachte ich. Schönes Wochenende!“
(Schmuckbild: Pixabay/free)